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Auf der Suche nach dem Hofe derer von Zersen

Wenn man einen historischen Dorfspaziergang plant, möchte man natürlich möglichst viel zu erzählen haben. Dabei stößt man jedoch auf  eine Schwierigkeit:

Vor allem über die Zeit vor 1500 sind nur wenige Spuren und Urkunden vorhanden, soweit denn überhaupt noch Urkunden vorhanden sind . Einige sind im Krieg zerstört worden  und liegen nur noch in Abschriften vor oder lassen sich nur noch aus Zitaten in anderen Veröffentlichungen nachvollziehen. Eine Echtheitsprüfung ist daher nicht mehr möglich.
So beruht vieles auf mehr oder weniger begründeten Vermutungen. Ein umfassendes Bild lässt sich nicht erstellen. Es sind immer nur Mosaiksteinchen, aus denen sich Momentaufnahmen ergeben.

Der Ortsname Zersen

Fangen wir doch einmal mit dem Namen unseres Dorfes an. Woher kommt der Name Zersen? Sie ahnen es schon. Wie zu erwarten, gibt es auch hier keine Einigkeit, sondern es existieren mehrere Versionen.

Der Streitpunkt: Hat der Ort der Familie oder die Familie dem Ort seinen Namen gegeben?

Ein Heimatforscher  meint, der Name käme von der Familie, nämlich von deren Wappen, das sich aus einem alten Hauszeichen entwickelt habe. Dies sei ein Zerreisen oder ein Kesselhaken gewesen. Und aus dem Wort Zerreisen sei Zersen entstanden. Von der Familie sei dann der Name auf den Ort übergegangen. Mit dieser Deutung steht dieser allerdings ziemlich alleine da.

Das Wappen der Familie “von Zersen”

Die Universität Leipzig und Otto von Zerssen meinen, der Name Zersen komme von Kirschen, lateinisch: ceresia, althochdeutsch: kirsa und altsächsisch: kirs. Durch eine Lautverschiebung von k nach z (man nennt dies sprachwissenschaftlich Zetazismus) habe sich der Name Zersen gebildet, also der Ort, an dem es Kirschen gibt.

Ein anderer Heimatforscher, eine andere Meinung:

Danach soll Kersen – auch hier mit Lautverschiebung nach z – ein prähistorischer Bachname sein. Dafür spricht meines Erachtens, dass der Ort von Bachläufen geprägt ist, früher sogar noch mehr als heute, denn einer der Bachläufe wurde verrohrt. Tatsache ist, dass Bach- und Flussnamen häufig sehr alt sind. Oft wurden Orts-und Landschaftsbezeichnungen von den früheren Bewohnern übernommen.
Von Grabungen auf der Amelungsburg weiß man, dass die Gegend schon in der Latenezeit, der vorrömischen Eisenzeit bewohnt war. Man hat dort am Sockel des Walles Tierknochen gefunden, die mit der C 14 Methode auf das Jahr 406 v. Chr. datiert wurden. Die damaligen Bewohner der Gegend haben den Bächen in ihrer Umgebung mit Sicherheit Namen gegeben. Folgt man dieser Variante der Namensdeutung, wäre der Name Zersen schon 2500 Jahre alt. Und das wäre schon etwas Besonderes.

Aber wann wurde der Ort Zersen gegründet? Auch das liegt leider im Dunkel der Geschichte. Man vermutet, dass die Orte am Süntelkamm mit der 2. Siedlungswelle im frühen Mittelalter entstanden sind, als die besseren Lagen im Wesertal besetzt waren. Die Zahlen variieren hier zwischen dem 5. und 8. Jahrhundert. Irgendetwas schriftliches existiert darüber nicht und man weiß nicht, ob es den Ort Zersen zu dieser Zeit schon gab.

Quellen: Erhart Cosack, Forschungen zu latenezeitlichen Befestigungeen S. 41, Archäologe Jochen Schween
1223 Urkunde des Grafen Hillebold von Limmer (auch Grafen von Roden und Wunstorf), Verzicht auf die Vogtei über die Güter des Klosters zu Marienwerder (Cal UB VI 9, zitiert nach Otto von Zerssen, Die Geschichte der Familie von Zerssen S. 17
1242  Die Grafen von Schaumburg schenken dem Kloster Marienwerder einen Hof zu Lohnde
1305 Graf Adolf von Holstein Schaumburg belehnt Amalung Hoc mit 3 Hufen, welche Hartmann von Bennessen von ihm zu Lehen hatte (Cal UB III 578)
1317 Das Stift Fischbeck tauscht mit dem Kloster Loccum 3 Hufen in Zersen gegen 2 Hufen in Segelhorst (Cal UB iii,674)
Streitschlichtung zwischen der Äbtissin, dem Konvent sowie den Benefiziaten des Stifts Fischbeck wegen Einkünften aus 3 Hufen und 2 Höfen in Zersen (UB Fischbeck I, 141)
Husmeier Gudrun, Geschichtliches Ortsverzeichnis f. Schaumburg, Stichwort: Zersen
Das Fachwerkhaus “Zwischen den Brücken 6″

Es gibt in Zersen 5 denkmalgeschützte Objekte. Dies ist eines davon.

Das Fachwerkhaus "Zwischen den Brücken 6"
Das Fachwerkhaus “Zwischen den Brücken 6”

Manche haben sicher schon von den Schaumburger Mützen gehört, die für unsere Gegend typisch sind. Eine weitere Besonderheit sind die Säulentore, wie sie hier zu sehen sind und die kommen gerade im Hessisch Oldendorfer Bereich häufiger vor.

Dieses ist eines der letzten Fachwerkhäuser, das gebaut wurde. Ende des 19.Jahrhunderts bricht der traditionelle Fachwerkbau ab. Die Bauweise ändert sich. Man baut danach mit Backsteinen. In Zersen haben sich relativ wenige Fachwerkhäuser erhalten. Das mag unter anderem daran liegen, dass hier in den 30er Jahren der Feuerteufel sein Unwesen trieb.  Bis er gefasst wurde, waren ihm einige Häuser zum Opfer gefallen. Neu gebaut hat man dann nicht in der traditionellen Bauweise, sondern aus Stein. 

In diesem Haus war früher ein Kaufmannsladen untergebracht. Es gibt noch das alte Ladenschild. Die älteren Zerser werden sich noch daran erinnern, haben sich hier vielleicht ihre ersten Süssigkeiten für ein paar Pfennige gekauft. Überhaupt war dies das Zentrum von Zersen, hier der Kaufmannsladen, nebenan die Schmiede und der Schuster. Es war sozusagen die Zerser shopping mall. Dieter Claus hat die Straße mal so genannt, als die amerikanischen Zersen hier zu Besuch waren. Aber ganz so edel waren die Straßenverhältnisse vor über 50 Jahren  nicht. Die Straße war viel schmaler und nicht geteert. Die Einheimischen nannten sie die Schweineköttelgasse, was ja nicht gerade schmeichelhaft ist.

Quellen:  Helmut Rein Torsäulen alter Bauernhäuser Museumsverein Hameln Jahrbuch 1987/88 S. 39 ff
 Haus “Lange” zwischen den Brücken

Es ist doch gut, wenn Häuser wieder hergerichtet werden. So kommt manches zum Vorschein, was bereits in Vergessenheit geraten war.
Hier sehen wir die alte Inschrift: “Wilhelm Schulte, Wilhelmine Schulte 1885” – Und das Haus ist schon aus Backstein gebaut.

Das Haus “Wilhelm Lange”

Und jetzt wird es interessant. Früher gehörte das Haus zur Pfarre in Krückeberg. Dann gehörte es einem Schmiedemeister Knoche, der die Stelle von seinem Vater geerbt hatte. Dieser Schmiedemeister Knoche verkaufte das Anwesen am 12. 9. 1863 an den Schäfer Carl August Schulte. Warum wurde das Grundstück verkauft? Schmiedemeister Knoche wanderte im Juni 1866 mit Frau und 5 Kindern nach Amerika aus. Er war aber bei weitem nicht der Einzige, der Zersen verließ. Allein in den Jahren 1865 bis 1867 wanderten 4 Zerser Familien mit 23 Personen aus. Das waren 8 Erwachsene und 15 Kinder, die in Amerika ihr Glück suchten. Es waren die Familien Knoche, wie bereits erwähnt- und die Familien Richert, Beckel und Pfingsten. Das war jeder 10. Zerser in 3 Jahren! Was war der Grund? Zum einen wollten natürlich viele in die Freiheit, in ein Land mit ausreichend Grund und Boden. Viele hatten vielleicht schon Freunde oder Bekannte, die in den USA lebten. Die Auswanderungswelle fällt aber auch in eine Zeit, in der sich die Herrschaftsverhältnisse hier veränderten. Hannover war von Preußen annektiert worden und auch die alte Grafschaft Schaumburg geriet unter preußische Ägide.
Und nun – nur ein paar Jahre später- baut man eines neues Haus aus Stein. Steinreich heißt es in unserer Sprache. Wenn man mit Stein bauen konnte, war man steinreich. Was hatte sich in der kurzen Zeit verändert? Das Zeitalter der Industrialisierung hatte begonnen. Der deutsch-französische Krieg war gewonnen worden. Ab 1874 begannen hier die Landreformen, sprich die Gemeinheitsteilungs- und die Verkoppelungsjahre. Die Bauern konnten selbst bestimmen, was auf ihrem Land angebaut wird. Es mussten keine Hand- und Spanndienste mehr geleistet werden.  Neue Methoden in der Landwirtschaft  hielten Einzug, aber das wissen die Landwirte hier besser als ich. Die zu bearbeitenden Flächen wurden durch die Zusammenlegung größer. Es gab Stallhaltung, d.h. der Dünger konnte nun gezielt auf die Äcker verteilt werden. Kunstdünger kam auf und es gab auch auf den Dörfern eine zunehmende Prosperität, natürlich nur für die, die Land besaßen. Denken Sie an die Rübenburgen, die in der Zeit bis zum 1. Weltkrieg errichtet wurden. Sie kennen sicher den Ausdruck für diese großen stattlichen Bauernhäuser, die aus jener Zeit stammen.

Kommen wir zurück auf dieses Haus hier, aus Stein errichtet, nur 10 Jahre nach dem Fachwerkhaus gegenüber ( “Zwischen den Brücken 6”). So lassen sich geschichtliche Veränderungen  an 2 Häusern darstellen. Man sieht, Geschichte kann ganz schön spannend sein.

Quellen: 
Husmeier Ortsverzeichnis für Schaumburg
Mitschrift über die Agrarreformen des 19. Jahrhunderts 2003 bei Dr. Kroker
Maack,  Der Sattelhof der von Zersen in Zersen 
Kölling,  Schaumburger Auswanderer im 19. Jahrhundert
Der alte Dorfanger vor dem Feuerwehrturm

So und nun gehen wir zurück in die Geschichte des Mittelalters und der frühen Neuzeit. Vergessen Sie erstmal, was  über das 19. Jahrhundert gesagt wurde, denn vorher sah es ganz anders hier aus.

Was uns heute wie der alte Ortskern erscheint, also dieser Bereich hier und Zwischen den Brücken hinter uns, das war anfangs bis ins 16. Jahrhundert  der alte Dorfanger, also unbebaut. Stellen Sie sich die mittelalterlichen Städte vor. Sie waren befestigt mit Mauern. Die Dörfer waren das nicht. Die Höfe lagen hier außen herum. In die Mitte konnte man das Vieh auf den Anger treiben und so waren die Tiere einigermaßen geschützt. Man weiß aus einer Urkunde des 14. Jahrhunderts, dass sowohl das Stift Fischbeck als auch die Schaumburger Grafen hier Besitz hatten. Der Fischbecker Anteil ist der, der hinter uns liegt mit den alten Höfen Ladage und Bartling. Für diese Aufteilung spricht, dass die Anwesen auf dieser Seite des Baches Anteile an der Süntelwaldgenossenschaft haben gemeinsam mit dem Stift Fischbeck. Die auf der anderen Seite gelegenen Höfe standen überwiegend im Schaumburgischen Besitz. Also muss sich hier auch der Hof der Zersens befunden haben. Sie waren Ministeriale im Dienste der Schaumburger Grafen und hatten von den Schaumburgern den Hof zu Lehen bekommen. Noch im 16. Jahrhundert beziehen die Zersens Zinsabgaben aus Zersen. Ein Kataster von 1776 besagt, dass die Krückeberger Linie derer von Zersen Land am Ellerbruch und am hohen Kampe  besaß.

Wo aber war der Hof derer von Zersen?

Es sind keine Überreste erhalten, es gibt aber 2 Hinweise:

Einen Hinweis liefert uns die Urkunde aus dem Jahr 1380. Graf Otto von Holstein Schaumburg belehnt einen Arnd von Zersen mit einen Molenhof mit 3 Hufen und 3 Kotstellen und dem dazugehörigen Land (STA Bü L 1 Nr. 5570).

Molenhof deutet auf Mühle hin. Wo die mittelalterliche Mühle stand ist ungewiss.
Sie wird wohl an dem Bach in Zersen gestanden haben, der das meiste Wasser führte. Also ist wahrscheinlich, dass sich die mittelalterliche Mühle da befand, wo heute das Gasthaus Eickmeyer steht. Dieser Hof hatte auch Anteile an der dahinter liegenden Flurbezeichnung Mühlenbreite, was ein zusätzliches Indiz sein könnte (Walter Maack, Der Sattelhof der von Zersens in Zersen, Schaumburger Heimatblätter 1956, S. 23-25).

Zersen bietet sich auch als Mühlenstandort an. 5 Mühlen sind bekannt:

  • die im 14. Jahrhundert erwähnte Mühle (Standort Eickmeyer?)
  • Bannensiek Mühle, 1551 erstmals urkundlich erwähnt, war Bannmühle also mit Mahlzwang, d. h. die Bauern mussten dort ihr Korn mahlen lassen, sie konnten sich die Mühle nicht aussuchen.
  • Schmidt Mühle, zwischen Bannensiek und Pappmühle gelegen, sie ist jüngeren Datums und existiert heute nicht mehr, bis in die 60er Jahre soll noch das alte Haus von Kreisel gestanden haben, manche werden sich vielleicht daran erinnern, heute sind nur noch Fundamente zu erkennen
  • Pappmühle, sie ist die jüngste von allen, erst im 19. Jahrhundert als Papiermühle gebaut.

Von den Einheimischen (Frank Rinne, Heinz Haupt) wird erzählt, dass es auch auf dem Hof Claus eine wasserbetriebene Mühle gegeben haben soll. Der Göpel wurde erst beim Bau der Scheune abgerissen.

Der “Hof Borchert”

Wo könnte noch ein Hof der Zersens gestanden haben?

Ein 2. Hinweis auf die Lage ergibt sich aus der Gemarkungsbezeichnung Sellworth. Von den Einheimischen wird dieses Land auch in`Winkel genannt. Die Bezeichnung Sellworth taucht zumindest in einer Urkunde des 18. Jahrhunderts auf.

Nach dem Hilfswörterbuch für Historiker (Haberkern und Wallach), bedeutet Sellworth in der alten “Sprache Hofstelle eines Freien”, ein “Sattelhof”, ein “Fronhof”.

Das könnte ein Hinweis sein, dass der 1. Hof der Zersens oder einer der Höfe, die in ihrem Besitz standen, hier angesiedelt war, also hinter dem Hof von Hartwig Meier. Das Gelände hier steigt auch etwas an, wäre also durchaus geeignet.

Zersen um die Jahrhundertwende
Hinter dem “Haus Holte”

Zersen ist eingebettet in eine schöne Landschaft und es ist auch die größte Gemeinde im Stadtgebiet von Hessisch Oldendorf, 673 ha groß. Dass dem so ist, liegt am Hohenstein, der zu Zersen gehört. Heute liegt alles so friedlich vor uns, aber das war nicht immer so.
Es gab über die Jahrtausende immer wieder kriegerische Auseinandersetzungen hier. Wobei die beiden nachfolgend genannten Ereignisse wohl die einschneidendsten waren:

Da ist zum einen die Schlacht im Süntel 782. Karl der Große und seine Franken mussten hier eine empfindliche Niederlage gegen die Sachsen hinnehmen. Dabei soll so viel Blut geflossen sein, dass der Bach tiefrot gefärbt war. Das soll der Grund für seinen Namen sein: Blutbach.

Karl der Große hat sich später im Blutgericht von Verden bitter an den Sachsen gerächt.

Und dann gab es hier die letzten kriegerischen Auseinandersetzungen zum Ende des 2. Weltkriegs, unmittelbar bevor der Krieg endete.
Die letzte geschlossene deutsche Truppe, die 7. Batterie des Nebelwerferregiments, löste sich hier auf. Das war im April 1945. Sie kippten ihre Geschütze in den Bach in der Nähe des Kreuzsteins und stellten danach die Kampfhandlungen ein.
Zersen gehörte damals zum Gau Westfalen Nord und lag am östlichsten Punkt. Die Amerikaner drangen von Westen her vor.

Der Gauleiter Alfred Meyer hatte sein gesamtes Gebiet verloren. Er ließ sich hier nach Zersen fahren und beging am Hohenstein Selbstmord. Das war das Ende von Hitlers Statthalter, dem fast 3 Millionen Menschen unterstanden.

Der Förster von Zersen hat dann später die Leiche sowie einen Abschiedsbrief unter den Klippen des Hohensteins gefunden.

Das war dann hoffentlich für immer der letzte Krieg in Zersen.

Quellen: 1945 Ausstellung in der Eulenburg Rinteln 2010
DEWEZET v. 29.4.2005 S.10
Udo Mierau, Deister- Süntel- Lesebuch S.234ff

Am Kirschbaum derer von Zersen

Im Jahre 2011 wurde hier, beim Besuch einer amerikanischen Zersen- Familie, ein Kirschbaum gepflanzt. Dieser steht für die mögliche Herkunft des Namens.

Sie erinnern sich?

Auszüge aus den Unterlagen zur Dorfbegehung von und mit Heidi Frühwald

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